Renten- oder Lebensversicherungen: Rückabwicklung dank fehlerhaftem Widerspruchsrecht
Dass ihr hier bei DealDoktor täglich konkrete Schnäppchen präsentiert bekommt, wisst ihr. Oft gibt es aber auch kompliziertere Sachverhalte wie z.B. gesetzliche Neuregelungen, bei denen es sich richtig lohnen kann, gut informiert zu sein. Hierfür wird euch Rechtsanwalt Matthias Schwab an dieser Stelle und in künftigen juristischen Gastbeiträgen informieren.
Wer zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 eine Lebens- oder Rentenversicherung abgeschlossen hat, kann diese oft heute noch rückabwickeln, da viele Versicherer nicht richtig über das Widerspruchs- oder Rücktrittsrecht belehrt haben. Der wirksame Widerspruch bzw. Rücktritt führt zur Rückabwicklung der Verträge. Versicherte bekommen die eingezahlten Beiträge zurück und erhalten darüber hinaus Zinsen. Auch nach Kündigung des Vertrages und Erhalt des Rückkaufswerts können Versicherte noch immer widersprechen und die Rückabwicklung verlangen.
Das Urteil des BGH
Der Bundesgerichtshof hat zuletzt in mehreren Urteilen entschieden, dass etliche Lebensversicherungskunden ihren alten Verträgen noch widersprechen können. Hat die Versicherung damals gar nicht oder fehlerhaft über das Widerspruchsrecht belehrt, steht dem Versicherten auch heute oft dieses Recht noch zu (vgl. BGH Urteil vom 7. Mai 2014, Az. IV ZR 76/11; BGH Urteile vom 29. Juli 2015, Az. IV ZR 384/14, IV ZR 448/14). Anders als bei den fehlerhaften Widerrufsbelehrungen bei Baufinanzierungen bzw. sonstigen Kreditverträgen hat der Gesetzgeber bei Lebens- und Rentenversicherungen keine Frist eingeführt, zu der das Widerspruchsrecht im Falle einer fehlerhaften Belehrung erlischt.
Welche Versicherungen sind betroffen?
Policen-Modell
Betroffen sind Lebens- und Rentenversicherungs-Verträge, die zwischen dem 29. Juli 1994 und dem 31. Dezember 2007 nach dem sogenannten Policen-Modell abgeschlossen wurden. Hat der Versicherer vor oder bei der Antragstellung nicht bereits alle erforderlichen Verbraucherinformationen erteilt, liegt ein Vertragsschluss nach dem Policen-Modell vor. Der Versicherer hätte nach Vertragsschluss alle Unterlagen zusenden und ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehren müssen, damit die Widerspruchsfrist zu laufen beginnt. Bei Lebens- und Rentenversicherungen aus den Jahren 1994 bis 2007 gab es außerdem teils unwirksame Klauseln zur Berechnung des Rückkaufswerts. Nicht von Bedeutung ist, ob es sich um einen fondsgebundenen Vertrag oder einen Vertrag ohne Fondsanlage handelt. Insbesondere auch Riester-Rentenversicherungen (sog. Förderrenten) und Rürup-Rentenversicherungen (sog. Basisrentenversicherungen) aus dem obigen Zeitraum fallen unter die Regelung.
Antragsmodell
Haben die Versicherungsnehmer hingegen bereits beim Antrag alle Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen erhalten, wurde ein Vertrag im sog. Antragsmodell abgeschlossen. In diesen Fällen steht den Kunden statt eines Widerspruchsrechts ein Rücktrittsrecht zu. Auch von diesen Verträgen können viele Versicherte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs noch heute zurücktreten. Entscheidend ist, ob der Versicherer den Verbraucher unzureichend belehrt hat. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Belehrung drucktechnisch nicht hervorgehoben war. Wegen dieses Formmangels beginnt die Rücktrittsfrist von 30 Tagen nicht zu laufen (BGH Urteil vom 17. Dezember 2014, Az. IV ZR 260/11, Urteil vom 25. Januar 2017, Az. IV ZR 173/15).
Die fehlerhafte Widerspruchsbelehrung
Sollten Versicherte daher keine Widerspruchsbelehrung bzw. eine fehlerhafte Widerspruchsbelehrung oder nur unvollständige Unterlagen erhalten haben, so können diese auch heute noch dem alten Vertrag widersprechen und erhalten die eingezahlten Beiträge (zumindest) größtenteils wieder zurück, zuzüglich Zinsen.
Typische Fehler in der Widerrufsbelehrung sehen wie folgt aus:
- In der Widerspruchsbelehrung ist nicht festgehalten, dass es ausreicht, den Widerspruch innerhalb der 30-Tage-Frist (14 Tage bei Verträgen die vor dem 8. Dezember 2004 abgeschlossen wurden) abzusenden. Es genügt indes, dass der Widerspruch rechtzeitig vom Versicherungsnehmer abgesendet worden ist.
- Sofern der betroffene Vertrag 2002 oder danach abgeschlossen wurde, muss in der Widerspruchsbelehrung ausdrücklich auf die Möglichkeit des Widerspruchs in Textform hingewiesen werden. Das bedeutet, dass seit 2002 auch ein Widerspruch per Mail möglich ist (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2015, IV ZR 211/14).
- Die Widerspruchsbelehrung muss sich deutlich vom übrigen Text abheben und darf nicht ohne Hervorhebung in den Versicherungsbedingungen stehen (BGH, Urteil vom 24. Februar 2016, Az. IV ZR 512/14).
Wieviel Geld kann ich zurück bekommen?
Damit Versicherungsnehmer einen ersten Eindruck bekommen, was Ihnen im Fall eines Widerspruchs oder Rücktritts zusteht, kann auf gängige Online-Rechner zurückgegriffen werden.
Ob sich der Widerspruch lohnt, ist dennoch stets eine Frage des Einzelfalls. Ein Rechenexempel anhand der zur Verfügung stehenden Online-Rechner ist immer sinnvoll. Sollte die Versicherung den Widerspruch nicht akzeptieren, können sich Versicherungsnehmer auch zunächst an den zuständigen Ombudsmann wenden und eine einvernehmliche Lösung erarbeiten.
Download: Mustertext für Anschreiben
Zum Anschreiben an eure Versicherer ist anbei ein Mustertext vorbereitet, der euch den Vorgang einfacher machen sollte. Einfach eure Verträge prüfen und die im Text markierten Bereiche anpassen. Ich bin gespannt auf eure Fragen und Kommentare.
Versicherungsnummer
Datum des Vertragsabschlusses:Widerspruch wegen fehlerhafter Widerspruchsbelehrung
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit widerspreche ich meinem obigen Vertrag. Ich habe von Ihnen bei Zusendung der Vertragsunterlagen keine (bzw. alternativ keine korrekte) Belehrung über das mir zustehende Widerspruchsrecht erhalten. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11) steht mir in diesem Fall ein unbefristetes Widerspruchsrecht zu.
Aufgrund des Widerrufs haben Sie die von mir eingezahlten Beiträge nach § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB zurückzuzahlen, abzüglich der Kosten für den Versicherungsschutz, der seit Vertragsbeginn gewährt wurde. Sie haben mir zudem vorab die Kosten für Versicherungsschutz zu benennen, die Sie in Abzug bringen. Ferner erwarte ich Abrechnung bzw. Auskunft darüber, was für Nutzungen Sie tatsächlich aus meinen eingezahlten Prämien gezogen haben. Diese Nutzungen haben Sie mir nach § 818 Abs. 1 BGB ebenfalls zu erstatten.
Die Abrechnung und die Überweisung des Gesamtbetrags hat bis spätestens zum ____ (hier sollte stets ein konkretes Datum – regelmäßig eine Frist von drei Wochen eingesetzt werden) zu erfolgen. Bitte veranlassen Sie die Überweisung auf folgendes Konto:
Abschließend weise ich darauf hin, dass es sich bei diesem Schreiben um einen Widerspruch und nicht um eine Kündigung des Vertrags handelt.
Bitte bestätigen Sie mir vorab den Erhalt dieses Schreibens sowie die Wirksamkeit des Widerspruchs.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Matthias Schwab ist tätig in der Kanzlei DSSD in Neustadt (Weinstraße). Er absolvierte sein Studium der Rechtswissenschaften an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ist seit 2012 als Rechtsanwalt zugelassen. Er ist überwiegend auf den Gebieten des allgemeinen Zivilrechts und des Strafrechts tätig und verfügt – auch auf Grund seiner großen Erfahrung – darüber hinaus über tiefgreifende Kenntnisse im Mietrecht, Verkehrsrecht, Verkehrsstrafrecht sowie im Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht. Weiterhin beschäftigt er sich mit Fragen rund um das Reiserecht sowie das IT-Recht, in dem er Mandanten zum Beispiel bei Abmahnungen berät.
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Vielen Dank für die Info, habe ich schon weitergeleitet.
Danke mal gucken was ich noch so an Verträge finde
Da lohnt sich das genaue gucken in den Unterlagen
Sehr schön. Danke
Hallo zusammen, gilt das auch für Verträge die man vor 15 Jahren gekündigt hat? Was ist wenn man keine Unterlagen hat? Grüße
@Turic82:
Der BGH hat in seinem Urteil vom 07. Mai 2014 (Az. IV ZR 76/11) klargestellt, dass auch bereits gekündigte Lebensversicherungen rückabgewickelt werden können. Der BGH verwies auf sein Urteil vom 24.11.2009. In diesem Urteil erklärt der BGH die Verwirkung nur für Altfälle anwendbar, die am 01.01.2003 bereits beendet waren. Vor diesem Hintergrund wäre eine konkrete Prüfung anzuraten. Ggfs. können die Versicherungsunterlagen noch einmal bei der Versicherung angefordert werden.
@DealDoktor:
Und wie ist das mit Versicherer die es nicht mehr gibt wie die Hamburg Mannheimer? Ich glaube die wurden von ERGO geschluckt? Kann man bei den den Anspruch dann fordern? Grüße
Versuch macht klug – ich kann dir das leider nicht fundiert beantworten.
Und gilt das auch für Fonds gebundende LV?